Sweetwater featured in Monopol
Guten Morgen, Berlin
by Elke Buhr
September 2020
Die Einladung war ziemlich lustig. Der Künstler Thomas Demand hatte bei seiner Galerie Sprüth Magers für eine kurzfristige Sommerausstellung seine Kontakte durchtelefoniert und gut 20 Künstler und Künstlerinnen mit Wohnsitz in Berlin versammelt, darunter Tacita Dean, Corinne Wasmuht, Manfred Pernice, Anri Sala, Thomas Scheibitz - alles Leute, die seit den 1990er-Jahren von hier aus Karriere gemacht haben, so wie Demand selbst.
Das Ergebnis wirkt wie ein Blick durchs Schlüsselloch: Man kriegt zu sehen, was in den Ateliers der Hauptstadt passiert, während der weltweite Lockdown den internationalen Kunstbetrieb mit kreischenden Bremsen anhielt, das emsige Herumfliegen beendete und alle Bienen in ihren Bau schickte. Thea Djordjadze hat ein Gemälde gemeinsam mit ihrer Tochter gemalt. Thomas Struth ist zu einem alten Sujet zurückgekehrt und zeigt Fotografien von Blumen. Und Sam Durant steuert einen Leuchtkasten mit der Losung dieser Zeit bei: „Another World is Possible". Nichts hier wirkt illustrativ, und doch ist die Ausstellung auf subtile Weise zeitgemäß in ihrer Fragilität und Offenheit. Und lustig? Ist der Titel: „Local Talent" hat der Kurator Thomas Demand sie genannt, als habe er es hier mit einem Haufen ambitionierter Kunsthochschüler zu tun statt mit einer Gruppe von Leuten, die mit dafür gesorgt haben, dass Berlin heute, was das Zeitgenössische angeht, als wichtigste Kunststadt Europas gilt.
Doch halt. Muss man nicht eher sagen: galt? Falls es in diesem Frühjahr neben Corona überhaupt ein Thema gab in der Berliner Kunstwelt, dann war es die Frage, ob es endlich Zeit sei, die Rede vom Hauptstadt-Kunstwunder in die Vergangenheitsform zu setzen.
Nun hat die Behauptung, der Berlin-Hype sei vorbei, einen längeren Bart als alle Klischeehipster Neuköllns zusammen. Doch in den letzten Monaten waren die Einschläge schon heftiger als gewohnt. Erst wurde bekannt, dass Friedrich Christian Flick seine hochkarätige Sammlung zeitgenössischer Kunst aus dem Hamburger Bahnhof abzieht, enttäuscht davon, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Land Berlin es versäumt haben, die Rieckhallen zu sichern, in die er einst Millionen inves-tierte, damit seine Werke dort gezeigt wurden. Dann drohte die glamouröse Großsammlerin Julia Stoschek, verschnupft wegen mangelnder Aufmerksamkeit durch den Senat, ihr Ausstellungs-haus zu schließen. Und schließlich attestierte ein Gutachten des Wissenschaftsrates der größten Kulturinstitution der Stadt, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, unbeweglich und dys-funktional zu sein.
Und ihren Museen, dass sie den Anschluss an internationale Entwicklungen verlieren. Zahllose wütende Suaden erschienen in den Feuilletons, darunter die des Galeristen und Ex-Journalisten Markus Peichl, der der Berliner Kulturpolitik in der „Welt" ein „Komplettversagen" vorwarf und die „kulturelle Verzwergung dieser Stadt" beklagte, in einem Moment, in dem der Lockdown die letzten finanziellen Reserven pulverisiere. Fassungslos nahm man die Recherchen des Journalisten Boris Pofalla zur Kenntnis, der ebenfalls in der „Welt" akribisch aufschrieb, wie das Land Berlin noch zu Wowereits Zeiten zugelassen hatte, dass der Hamburger Bahnhof gemeinsam mit dem restlichen ehemaligen Immobilienbesitz der Deutschen Bahn an ein privates Unternehmen verkauft wurde, und darauf verzich-tete, das Vorkaufsrecht der öffentlichen Hand zu nutzen.
Auch später noch hätten die Verantwortlichen mehrere Gelegenheiten zum Kauf des Geländes verstreichen lassen, so berichtet jetzt Thomas Demand, der jahrelang selbst sein Atelier hinter dem Hamburger Bahnhof hatte. Damals wurde er selbst Teil der Künstlergeneration, die Berlin auf die Landkarte setzte. Die letzten zehn Jahre hat er in Los Angeles gelebt. „Und ich muss offen sagen: Wenn man aus der Ferne zuguckt, was in Berlin passiert, dann wirkt das wie Selbstverstümmelung." Demand vergleicht die Situation mit London, wo ein fruchtbarer Wettbewerb herrscht zwischen vielen hochkarätigen Institutionen, wo Kuratorinnen und Kuratoren Aufstiegsmöglichkeiten haben genauso wie Künstlerinnen und Künstler, und mit Paris, wo man mitten in einer wirtschaftlich schwierigen Situation wagte, die Rieseninstitution Palais du Tokyo zu gründen. Es wäre schon toll, wenn es in Berlin eine Infrastruktur für die Kunst gäbe, mit bezahlten Jobs für Kuratorinnen und Kuratoren. Und wenn die Institutionen nennenswerte Ankaufsetats hätten, sagt er. Dann wäre man auch nicht so abhängig von den Launen privater Sammler und Sammlerinnen. „Aber ohne Geld und ohne politischen Willen wird es das nicht geben."
Zurückgekommen ist er trotzdem, er baut sich gerade ein neues Atelier, kurz vor dem Lockdown zog er mit seiner Familie wieder in die Stadt. Berlin, so Demand, sei auch früher schon nicht wegen seiner Institutionen eine starke Kunststadt gewesen, sondern wegen der Künstlerinnen und Künstler, die hier leben und arbei-ten. Genau das wollte er zeigen mit seiner aus der Corona-Pause geborenen Sommershow bei Sprüth Magers. „Die Attraktion der Stadt ist diese Möglichkeitsform: dass man hier Dinge machen könnte. Dieses Versprechen bietet die Stadt immer noch."
Wie stark es noch ist, kann man zum Beispiel an der Geschichte von Lucas Casso ablesen. Seine Galerie Sweetwater liegt am Kottbusser Damm, da wo Kreuzberg immer noch nach Kreuzberg aussieht - jedenfalls unten vor der Tür, wo wie bestellt ein Obdachloser im Eingang sitzt und in seinem Rucksack kramt. Die Galerieräume im ersten Stock des Altbaus sind gerade so perfekt renoviert, dass es nicht nervt, Casso hat eine überraschend nachdenkliche Falte zwischen den Augen und erklärt eloquent das Werk des jungen Amerikaners Morgan Canavan, der mit Skulpturen aus Spielzeugschiffscontainern Fragen der Globalisierung verhandelt.

Casso war mal Investment-banker bei Goldman Sachs in New York. „Cool", sage ich, weil ich noch nie einen echten Vertreter dieser sagenumwobenen Spezies kennengelernt habe. „Geht so", antwortet er lachend. Ihm reichte es jedenfalls nach fünf Jahren. 2018 zog er nach Berlin und eröffnete seine Galerie - und es scheint zu laufen. „Natürlich sehe ich, dass auch hier die Preise anziehen, aber wenn man aus Manhattan kommt, sind die Kosten überschaubar", sagt er. In seinem Umfeld mischen sich amerikanische und internationale Expats mit einigen Deutschen, er fühlt sich getragen von einer Szene, die ihm immer neue interessante Künstler und Künstlerinnen zuspült. Wie alle anderen sorgt er sich angesichts von Corona um die Clubszene, das bunte Ausgeh-Berlin, das für ihn den Reiz der Stadt mit ausmacht. Aber das mit dem Kunstverkaufen, das kriegt er ganz gut hin, auch an viele amerikanische Sammler. „Für mich zeichnet Berlin aus, dass es Kunstinstitutionen auf so vielen verschiedenen Levels gibt, vom kleinen Projektraum über die Kunstvereine bis zu den großen Museen", sagt er. Im September ist Casso zum ersten Mal beim Gallery Weekend dabei. Bevor ich gehe, frage ich ihn noch, wie alt er eigentlich ist. 29 Jahre. Geboren nach der Wende, zusammen mit dem Mythos der Kunststadt Berlin.
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